„Der Sämann“ und sein reiches Füllhorn

Die geflochtene - besser gesagt gewickelte - Weidenskulptur wurde im Rahmen des 1250-jährigen Jubiläums der Stadt Eschborn aufgestellt.

Mit frischen Erdbeeren war das Füllhorn geschmückt, mit Saatgut gefüllt die Säschale. Ein wenig knifflig sei es anfangs gewesen, diese am Korpus des „Sämanns“ zu befestigen, wie überhaupt die ganze Statik hätte berechnet werden müssen, erzählt Irmgard Wissing. Die Weidenkünstlerin aus Bad Bevensen ist stolz, dass ihre Flechtfigur, der bereits im vergangenen Jahr anlässlich der 1250 Jahrfeier aufgestellt werden sollte, endlich eingeweiht werden konnte. In den Oberwiesen hat er nun Platz gefunden, neben dem verlängerten Dörnweg nahe der Steinbacher Straße.

 

Initiiert und organisiert wurde das Projekt vom Brauchtumsverein Niederhöchstadt e.V. Bereits 2018 hatte dieser einen Weidenflechtkurs veranstaltet, und seitdem wird regelmäßig geflochten; ein Vorstandsmitglied pflanzt sogar selbst Weiden an. So entstand die Idee, ein Kunstwerk aus Weiden – passend zu den Nachhaltigkeitsgedanken des Vereins – als Erweiterung des Skulpturenparks beizusteuern. Zur Figur gehört ein Füllhorn, das vom Verein immer wieder jahreszeitgerecht dekoriert wird. „Ein Kunstobjekt, das sich in die Natur und Kulturlandschaft einpasst und ansehnlich verwittern soll“, betont Thomas Henrich, Erster Vorsitzender des Vereins. „Wir übernehmen die internen Kosten, also für eigene Arbeitsstunden und gegebenenfalls ergänzendes Flechten.“ An den Kosten für den Stahlunterbau, die Weiden und die Arbeitsstunden der Künstlerin beteiligte sich die Stadt, die auch einen geeigneten Standort zur Verfügung stellte. Als Sinnbild für Eschborn will Bürgermeister Adnan Shaikh den „Sämann“ verstanden wissen: „Diese Weidenfigur wurde in einer absoluten Teamarbeit aus Vereinsmitgliedern, städtischen Mitarbeitern und lokalen Unternehmen erstellt. Außerdem steht er für die großartige Vielfalt, die Eschborn und Niederhöchstadt zu bieten haben. Eine Vielfalt zwischen traditioneller Agrarwirtschaft und hochtechnisierten Unternehmen, die dazu beitragen, dass unser Füllhorn – wirtschaftlich gesehen – gut gefüllt ist.“

 

Neues Gesicht für altes Handwerk

Für Wissing verkörpert das Füllhorn, das sie wie einen großen Korb geflochten hat, ein gelungenes Leben: „Möge es sich nun für die Stadt Eschborn mit einer reichen Ernte auf allen Ebenen füllen.“ Der Sämann sei ein Garant ewiger Wiederkehr und des steten Neubeginns: „Indem er sein Korn achtsam und mit Liebe ausstreut, beginnt er den Kreislauf des Lebens. Aussäen, Wachsen und Reifen lassen, Hegen und Pflegen, Ernten und erneut Frucht bringen sind nicht nur in der Landwirtschaft wiederkehrende Lebensthemen, sondern auch in der Seelenentwicklung jedes Menschen.“ So symbolisiert der Sämann eine innere Wandlungsbereitschaft, die dem Bedürfnis des Menschen nach werthaltiger Schöpfung und Gestaltung entspricht. „Ich erinnerte mich an Höhen und Tiefen meines Lebens, Erfolge und Misserfolge. Saaten, die aufgegangen sind, mit guten und schlechten Wachstumsbedingungen, hin zu Ideen und Visionen, die Gestalt annahmen, und andere, die ich habe vertrocknen lassen.“

 

Die Gartenbauingenieurin gibt mit ihren Skulpturen einem alten Handwerk ein neues Gesicht. „Als Gärtnerin war ich schon immer der Natur nah, als Mutter kannte ich das Basteln mit Kindern, künstlerisch arbeitete ich mit Stein, Holz, Ton oder Wolle, bis ich vor zehn Jahren geflochtene Gartenobjekte auf einem Basar fand.“ Total begeistert davon, wollte sie auch so flechten können. Bei Kerstin Eikmeier in Porta Westfalica lernte sie die ersten Handgriffe und bekam einen Einblick in das Material – und war fasziniert. „Als die Absprache mit dem Brauchtumsverein getroffen war, eine zwei Meter große Weidenfigur für das Jubiläum zu fertigen, war ich vor neue Herausforderungen gestellt. Auch die Ansprüche an Material und Statik waren entsprechend anzupassen.“

 

Im Umgang mit der Weide können wir etwas von uns selbst gespiegelt bekommen, meint Wissing: „Sind wir im Fluss des Lebens, lebendig oder starr? Sind wir zu offen oder zu ängstlich?“ Die Weide vereinige in sich wie kein anderes Material die Polarität von Geschmeidigkeit und Zähigkeit mit Widerspenstigkeit und Starre.

„Wie schön, dass sich der Brauchtumsverein für diese beiden Objekte aus Weiden entschieden hat. Auch das Korbmacherhandwerk hat eine lange Tradition und bedarf der Pflege und der Erinnerungskultur. Sonst geht das Wissen um dieses wertvolle Handwerk verloren“, betont die Künstlerin.