"Schiefer Wald" von Heike Mutter und Ulrich Genth

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Heike Mutter und Ulrich Genth rücken in ihren Projekten das Potenzial einer Situation, eines Orts oder auch einer Landschaft ins Zentrum. „Schiefer Wald“ erinnert an die Schlacht bei Eschborn, die im Jahr 1389, auf der später benannten Gemarkung „Streitplacken“, stattgefunden hat.

Der Anlass für die Schlacht 1389 war eine Fehde zwischen der Freien Reichsstadt Frankfurt und einer Reihe von Adeligen im Umland. Im Kampf um die Vormachtstellung in der Region schickte im Mai 1389 die Freie Reichsstadt Frankfurt ein Bürgeraufgebot aus Zünften mit Soldaten, rund 2000 Mann, nach Kronberg. Die Kronberger riefen in ihrer Not die ritterlichen Verbündeten zur Hilfe. Den Kronberger Rittern gelang es mit Ruprecht von der Pfalz und seinen 200 Reitern die zahlmäßig überlegenen Frankfurter auf dem „Streitplacken“ vernichtend zu schlagen. Die Frankfurter hatten fast 100 Tote und viele Verletzte zu beklagen. Außerdem wurden 620 Frankfurter auf verschiedenen Burgen gefangengesetzt. Die Schlacht zwischen den Frankfurtern und den Kronbergern mit ihren ritterlichen Bündnispartnern erlangte Berühmtheit, weil die Freie Reichsstadt Frankfurt trotz großer zahlenmäßiger Überlegenheit am 14. Mai 1389 die größte militärische Niederlage ihrer Geschichte erlitt.

Am Ort dieses historischen Ereignisses hat das Künstlerpaar eine Installation mit 26 Bäumen aus den vier heimischen Baumsorten Esskastanie, Vogelkirsche, Feldahorn und Hainbuche realisiert. Die Bäume wurden in maximal möglicher Schieflage gepflanzt. Durch unterschiedlich gestaltete, weiß lackierte Stahlstützen, die als Zwingen fungieren, werden sie dauerhaft in der Schräge gehalten. Die leer gelassene Mitte des Flurstücks wirkt wie der Ursprung eines rätselhaften Ereignisses und die Bäume scheinen wie von diesem niedergedrückt oder umgestürzt. Mit ihren Kronen streben alle 26 Bäume nach außen, als würden sie von einer unsichtbaren Kraft auseinandergezogen. Die Achse in der Mitte des „Schiefen Waldes“ gibt den Blick frei auf die ehemaligen Kontrahenten: Auf Frankfurt mit seiner Skyline auf der einen Seite und die Kronberger Burg auf der anderen Seite. Das historische Ereignis und seinen Konflikt wurde mit dem „Schiefen Wald“ in ein irritierendes Landschaftsbild übersetzt, um die Komplexität des Themas greifbar zu machen. Der Begriff des Denkmals oder Gedächtnisortes wird auf ein lebendiges Kunstwerk übertragen, das sich im Laufe der Zeit sich noch verändern wird: Die Bäume wachsen und werden sich entsprechend ihres natürlichen Strebens zum Licht nach oben entwickeln. Auf ihre Zwangslage reagierend werden die 26 Bäume mit ihrer Deformation zu einem lebendigen, irritierenden Bild der Überwindung, des Entfaltens und der Veränderung. Sie fungieren als Gedächtnis an Konflikt, Schmerz und Vergangenheit. Im Prozess des Wachsens und des Befreiens symbolisieren die Bäume zugleich Überwindung und Veränderung.

 

Heike Mutter, geboren 1969 in München, studierte von 1995 bis 2001 Medienkunst an der Hochschule für Gestaltung Karlsruhe bei Professor Marcel Odenbach und an der Kunsthochschule für Medien Köln bei Professsor Jürgen Klauke. Seit 2007 ist Heike Mutter Professorin für Medienkunst an der Hochschule der Bildenden Künste Hamburg. Ulrich Genth, geboren 1971 in Tübingen, studierte von 1994 bis 1999 Objektkunst an der Kunstakademie Münster, er war Meisterschüler bei Professor Reiner Ruthenbeck. Ulrich Genth war Gastprofessor an der Hochschule für Bildende Künste Hamburg. Seit 2003 arbeiten Heike Mutter und Ulrich Genth als Künstlerduo zusammen. Mit kontextbezogenen Werken und präzisen Interventionen, die den jeweiligen Orten neue Bedeutungsebenen hinzufügen, sind Mutter und Genth sowohl im öffentlichen wie auch musealen Raum vertreten. Sie erhielten einzeln sowie als Künstlerduo mehrere Stipendien und Preise, darunter den 1. Preis im Wettbewerb für eine Großskulptur auf der Heinrich-Hildebrandt-Höhe in Duisburg im Rahmen der Ruhr 2010. Die Realisierung dieser begehbaren Skulptur „Tiger and Turtle – Magic Mountain“ ist zu einem Wahrzeichen der Stadt Duisburg geworden. 2014 wurde das Künstlerduo mit dem Marta-Preis der Wemhöner Stiftung ausgezeichnet. Heike Mutter und Ulrich Genth leben und arbeiten in Duisburg und Hamburg.